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Ferienreise Von Karl Höfer, Krems aus "Das Waldviertel" 1955, Heft 7/8, S. 142-147 So vor etwa sechzig Jahren kam für jene Eltern im Waldviertel, die ihre Söhne einem geistigen Berufe zuführen wollten und die südlich von Weitra wohnten, als Schulstadt wohl nur Freistadt im unteren Mühlviertel in Betracht; Weitra, Gmünd und die Orte nördlich davon sandten ihre Studentlein meist nach Budweis. Ich, ein Lehrerssohn aus St. Martin, war daher für das Gymnasium in Freistadt bestimmt. Aus Groß-Pertholz, dem nächsten größeren, südlich gelegenen Ort, kamen ein Lehrers- und ein Bäckerssohn, von der Dreiländergrenze bei Karlstift ein Försterbub, aus Puchers im Böhmischen ein Kaufmannssohn und dann aus Sandl in Oberösterreich der Sohn aus einem größeren Bauernhofe. Damals war so eine Reise von meinem Heimatorte nach Freistadt schon ein Ereignis. Früh schon kam im Sommer der schwarzgelbe Postwagen, etwas später im Winter der Postschlitten von Weitra angezockelt und hielt vor dem Gasthaus zum Schwarzen Adler. Der schwarzgestrichene Holzkoffer, der schon meinen Vater und dann auch meinen älteren Bruder begleitet hatte, wurde aufgeladen, ein Schnalzer mit der Peitsche und schon ging die Fahrt an. Aber nicht zu schnell, denn sonst wären wir am Ende gar zu früh nach Puchers gekommen. Hier wurde Mittagsrast gehalten und dann mit frischen Pferden nach Freistadt weiterkutschiert, wo man je nach Wetter und Glück nachmittags, früher oder später eintraf. Auf dem ganzen Weg blieben die Pferde von selbst bei den Postämtern in den Zwischenstationen und vor den Wirtshäusern stehen, wo der Postkutscher allerlei kleine Aufträge und Bestellungen entgegennahm und auslieferte und für diese kleinen Gefälligkeiten besonders in der rauhen Jahreszeit mit einem ,,Stamperl" entlohnt wurde. Da an der Straße viele solche Wirtshäuschen standen, die fast täglich ihre Wünsche hatten, so war es fast selbstverständlich, daß man so einem alten Postkutscher seine lange Dienstzeit an der Nase ansah. Die Reisenden machten alle diese Aufenthalte mit, ohne sich darüber aufzuregen, das gehörte halt schon einmal so zu einer Fahrt mit der Post. Die Einrückung nach Freistadt trat jeder von uns Buben allein mit seinem Kofferl an. Auch während der Schulzeit trafen wir einander selten, da wir nicht alle dieselbe Klasse besuchten und bei verschiedenen „Kostfrauen" wohnten. Kamen aber die Weihnachts- und die Osterferien oder die Pfingstfeiertage, dann fanden wir uns pünktlich nach dem Mittagessen - vormittags war noch Unterricht gewesen - auf dem Hauptplatz zusammen. Gepäck - Rucksäcke waren damals noch nicht Mode - hatten wir keines, nur einer aus der Nachbargemeinde, ein „Primus", der mir zu Hause zu meinem Verdruß immer als Vorbild hingestellt wurde, hatte immer ein paar Bücher mit. So marschierten wir dann Winter und Sommer „zum Städtchen hinaus", durch das Thury-Tal und dann etwas langsamer die ansteigende Straße zum Ort und Kirchlein Rauhenöd empor. Hier soll im Jahre 1278 König Ottokar Přemysl von Böhmen auf seinem Zuge gegen Rudolf von Habsburg solange gelagert haben, bis in der tschechischen Reichsfahne die Spatzen nisteten, was auf dem Altarbild recht volkstümlich dargestellt ist. Im Winter lag da mächtig viel Schnee angeweht und ein Wind pfiff da schon heroben, alle Achtung. Hatten wir Glück, so holte uns von Freistadt her je nachdem ein leerer Kälberschlitten oder Kälberwagen, vor dem ein mächtiger Rittergaul mit mächtigen Hufen ging, ein, den ein markiger Bauer lenkte. Er hatte Vieh oder sonstiges nach Freistadt geliefert und fuhr nun heim. Wir traten beiseite, grüßten, das Fuhrwerk hielt, und es entspann sich folgendes Gespräch. Bauer: „Woher kömmts ös denn?" Wir: „Vun Freistodt." Bauer: „Sad's ös Studentn?" Wir: „Jo." Bauer: „Hobts hiatzn Ferien?" Wir: „Jo." Bauer: „Wos wöllts denn werdn?" Wir: „Pforran möchtn ma wern."
Der Bauer schien nicht im mindesten verwundert, daß gleich alle sechs Pfarrer werden wollten. Jedenfalls hatten wir sein Herz gewonnen und er fragte weiter:
„Wohi wollts denn?" Wir: „Bis Buchers gehn ma mitanand." Bauer: „Nu, so setzts eng auf; bis Sandl kinnts mitfohrn."
Kaum gesagt, waren wir auch schon auf dem Stroh im Fuhrwerk und ließen nun statt der Kälber unsere Füße über die Leiterln hinunterhängen. Der Rittergaul zog an und in wuchtigem Trabe gings nun auf der ebenen Straße gegen Sandl zu, daß im Winter der Schnee nur so staubte und die verschlafenen Krähen von den Vogelbeerbäumen auf- und davonstoben. Oft mußten wir die Füße hochheben, damit wir über die Schneewehen kamen. Jetzt hielt der Schlitten oder Wagen vor dem breithingelagerten Einkehrwirtshaus in Sandl. Wir sprangen vom Fuhrwerk und wollten uns mit einem „Vergelts Gott!" drücken, da unsere Reisepfennige für einen öfteren Gasthausbesuch nicht langten. Da sagte der Bauer: „Kimmts eina a!" Auf unser Zaudern hin wurde er wild: „Wonn i eng sog, kimmts eina, so kimmts eina!" Einem solchen Befehle mußten wir selbstverständlich gehorchen. Der Bauer trat in die Gaststube ein, übernahm am größten Tisch den Vorsitz und wir gruppierten uns um ihn. Er rief: „Wirtin, wos is? Bring ins an Loab Brot und an häufti Gsölchts und an jeadn an Most." Und wir aßen und tranken und tauten auf, erzählten alte und neue Witze und es wurde recht gemütlich. Auf einmal rief der Bauer: „Wirtin, zohln!" und er zahlte die ganze Zeche. Wir bedankten uns schön und begleiteten ihn hinaus zu seinem Fuhrwerk, er kletterte hinauf und sagte: „Nix zan dankn, i muaß hiaztn do umi, ös wüßts eh, wos geh müaßts. Und wonns holt amol Pforran sats, so bets holt an Votaunsa für mi!" Und der Rittergaul zog an. Was wir heilig versprachen. Ja, solche biedere Leute gab es damals. Hier empfahl sich auch der Bauernsohn, der seinem Vaterhaus zustrebte.
Nun stapften wir weiter. Im Winter wartete manchmal schon in Sandl ein Kälberschlitten des Vater Bäckermeisters aus Groß-Pertholz auf uns oder aber wir begegneten dem Fuhrwerk, wenn die Schneewehen gar zu hoch waren, irgendwo auf der Straße. Das war dann ein Wiedersehen des Bäckersohnes mit dem Knecht und mit den Pferden, die freudig wieherten und sich an ihn drängten, er umarmte ihre Hälse und die Begrüßung wollte kein Ende nehmen. Inzwischen, es war uns nicht zu verargen, da es bestimmt mehr als 20 Grad unter Null waren, hatten wir andern uns im Stroh verkrochen, der Knecht hatte uns mit Decken und Kotzen gut zugedeckt, den Bäckerssohn und sich in Pelze gehüllt und nun gings weiter auf der tief verschneiten Straße unter der Zügelführung des Bäckersohnes. Wenn der Kaufmannssohn mit war, so fuhren wir über Puchers, wo wir ihn ablieferten, sonst aber gleich gegen Karlstift, wo es viel näher war. Dort wurde der Försterbub abgesetzt und mit Freudengekläff von den Dackeln und Gebell vom ernsteren Vorstehhund in Empfang genommen. Nun tuschelten sich im Stroh nur mehr der Lehrerssohn aus Groß-Pertholz und ich zusammen. Die Straße ging es nun meist eben oder sanft bergab, die Pferde witterten den Stall und legten sich fest ins Zeug. Immerhin aber wurde es weit nach Mitternacht, bis wir in Groß-Pertholz ankamen. Es war aber auch schon höchste Zeit, denn wir froren trotz Stroh und Kotzen grimmig. Wir bedankten uns beim Bäckersohn und pflügten uns durch den Schnee zum Schulhaus. Ich konnte bei der schneidenden Kälte, müde und schläfrig, die Stunde auf der menschenleeren, verwehten Straße nicht mehr nach Haufe gehen und so hatten unsere Eltern ausgemacht, daß ich im Schulhaus übernachten könne. Im Zimmer wo schon ein halbes Dutzend Kinder schliefen, die, erwacht, wie die Orgelpfeifen in ihren Nachthemdchen den fremden Gast anstaunten, wurde ein gefüllter Strohsack auf den Boden gelegt, auf einen Schläfer mehr kam es schon nicht mehr an, und dann schlief ich glücklich bis in den hellen Wintertag hinein, Nun bekam ich mit den andern ein Frühstück und marschierte in mein Heimatsdorf, wo mich Eltern und Schwester schon erwarteten, und ich war glücklich, wieder ein paar Tage daheim sein zu können. Zu den Pfingstfeiertagen gingen wir meist von Freistatt bis nach Hause, außer es traf sich bis Sandl eine Fahrgelegenheit. Der Weg verging für uns Buben kurzweilig, wir waren alle gut zu Fuß, von Sorgen unbeschwert, sangen und tollten, der Nachmittag verfloß im Nu, der Mond ging auf und spiegelte sich in den Stauteichen der Holzschwemmen, wir freuten uns an den herrlichen Wäldern, die die Straße säumten, und lauschten den Stimmen der Nachtvögel. Furcht kannten wir nicht, die Gegend war auch des Nachts sicher, seit Menschengedenken war kein Raub oder sonstiges Verbrechen vorgekommen. Langsam schmolz unser Häuflein zusammen, zweigte einer um den andern in sein Vaterhaus ab, bis Groß-Pertholz waren wir nur mehr drei und von da an nur mehr ich allein. So gegen zwei Uhr früh weckte ich dann die Mutter auf, die ihren Jüngsten schon längst erwartet hatte, aber trotz der 40 Kilometer, die ich hinter mich gebracht hatte, wurde noch lange geplaudert, an ein Einschlafen war so bald nicht zu denken. Diese Pfingstwanderung 1899 in herrlicher Vollmondnacht ist mir noch in freundlicher Erinnerung geblieben. Es war meine letzte, denn nach den Ferien kehrte ich nicht mehr in das Gymnasium in Freistadt zurück, sondern trat in Wien in eine Berufsschule ein. Was aus den damaligen Kameraden wurde, habe ich nicht mehr erfahren, aber Pfarrer wurde, glaube ich, keiner. Sie entschwanden aus meinem Gesichtskreis. Nur der Bäckerssohn aus Groß-Pertholz, der schon damals ein so großer Pferdefreund war, wurde Tierarzt und starb als Oberveterinär der Stadtgemeinde Wien. Wir hatten einander immer gut verstanden und in der Heimat noch in manchem Sommer frohe Stunden miteinander verlebt. Schließlich möchte ich noch eines uralten Studentenbrauches erwähnen, der noch aus der Zeit der „Scholaren" stammte und im alten Urbummelliede „Studio auf einer Reis'" verewigt ist. Das „Abgrasen" oder die Vorsprache mit dem Zeugnis in der Hand in Klöstern, Pfarreien und Gutshöfen während der Ferien, wie dies bis vor etwa hundert Jahre noch üblich und geduldet war, um durch Mittagessen, Freiquartiere, „Freßpakete" oder ein paar Kreuzer sich eine billige Ferienreise zu verschaffen, war uns Studenten als versteckte, herabwürdigende Bettelei und dem zukünftigen Beruf oder die einstige Beamtenlaufbahn beschämend, bereits strengstens verboten und kam kaum mehr vor. Langte einmal eine diesbezügliche Anzeige oder Beschwerde ein, so wurde der Sünder strenge bestraft und ihm der Austritt aus dem Gymnasium und die Wahl eines weniger heiklen Berufes nahegelegt. Heute hat Gmünd ein Realgymnasium und ist mit Eisenbahnen und Autobussen leicht erreichbar, nach Freistadt fährt von Gmünd aus in drei Stunden ein direktes Postauto, so daß auch dieses Gymnasium für unsere Bergdörfer nicht mehr aus der Welt ist.
Ich glaube nicht fehlzuraten, wenn diese Ferienwanderungen, als nicht
mehr nötig, aufgehört haben. |