Grenzgang IV:
In das zerstörte Zuggers
Militäranlagen
Heuer im Sommer besuchte ich ein viertes Mal die Stelle,
diesmal auf der rechten Lainsitzseite, wo die Reste der hölzernen
Grenzwegbrücke stehen. Es war eine mächtige Brücke, in Pionierart aufgebaut
aus schweren Bohlen. Auf einem Pfosten auf dem Weg davor meine ich Reste von
elektrischen Fanganlangen erkennen zu können. Man scheint alles einfach so
belassen zu haben seit der Überschwemmung vor zwei Jahren.
Ich gehe
hinein nach Zuggers/Krabonoš, woher der schöne weiße
Kirchturm auch früher zu Sowjetzeiten herüber nach Österreich lachte. Gleich
am Ortseingang stoße ich auf ein großes, leerstehendes Gebäude auf weitem,
gut abgegrenztem Areal. Auf dem rostenden Einfahrtstor Schilder mit dem Kopf
eines hechelnden Wolfes. An der Eingangstür der Schatten eines abgenommenen
Amtssschildes. Neben dieser Kaserne ein kleines Haus, an die Mauer gemalt
zwei Mal das Symbol eines Flugzeuges über einem Sendemast, darüber das
Akronym "PVOS". Unter einem steht noch in kleineren Lettern: "OCHRÁNCE
VZOUŠNÉHO PROSTORU".
Die Kirche
daneben macht auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Sie ist außen schön
verputzt und weiß gekalkt. Erste Irritation: Die Turmuhr hat keine Zeiger!
Ist doch nicht alles Ordnung? Ich gehe zur Tür, ein Eisengitter sollte sie
versperren, es steht aber offen. Ich trete ein und sehe einen vollkommen
ausgehöhlten Innenraum! Der Boden ist nackt, der Wandverputz bröckelt, die
Decke fehlt, man sieht hinauf ins löchrige Dach. Diese Kirche scheint in den
Jahren des kommunistischen Regimes äußert zweckfremd verwendet worden sein!
Zum Glück
steht in diesem Dorf eine neue Informationstafel, von der man ein
wenig aus der Geschichte erfährt. "Geschichte(n) er-fahren" ist genau das
Motto des "Radweg Vitorazsko", auf dessen Strecke dieses Dorf liegt und für
den diese Tafel errichtet wurde.
Laut dieser
Information gab es Zuggers wohl schon im 10. Jahrhundert und die Kirche, die seit
mindestens 1400 bestand, sei Johannes dem Täufer geweiht gewesen.
"…traurig
ist auch die Geschichte der Kirche und des Pfarrhauses. Während der
kommunistischen Herrschaft verwaltete der Priester aus České
Velenice die Kirche de iure, in Wirklichkeit aber wurde ihm verboten, sich
darum zu kümmern. So wurde die Kirche, in deren Nähe ein Militärstützpunkt
der Grenzpolizei errichtet wurde, allmählich zur Ruine.
Ein
trauriges Schicksal machten auch das Dorf und die hier lebende
deutschsprachige Bevölkerung durch. Von fast 800 Einwohnern vor dem Krieg
blieben am Ende Mai 1945 im Dorf nur 7 Familien. Danach wurde das Dorf
teilweise mit neuer Bevölkerung besiedelt, aber wegen ihrer großen Nähe zu
Österreich wurde es nur einige Jahre später (1954) zur Demolierung bestimmt.
Die Menschen, die im Raum zwischen der Kirche und der
tschechoslowakisch-österreichischen Staatsgrenze lebten, mussten ihr Zuhause
wieder verlassen und dieser Teil des Dorfes wurde dem Erdboden gleich
gemacht und seither als Übungsplatz für die Grenzpolizei benutzt."
Aus alten
Ansichten und auch aus dem Katastralplan von 1823 kann man das Ausmaß der
Katastrophe erahnen: Das Dorf zog sich früher etwa einen Kilometer weiter
bis ungefähr zur heutigen Staatsgrenze! An die 20 Hofstätten waren es vor
180 Jahren, die in diesem Raum gelegen sind. Sie bildeten eine lange
einzelne Zeile mit der Front zum Fluss und zur Straße. Das Dorf lag auf
einem etwas erhöhten Plateau, man hatte wohl von der Straße einen schönen
Blick hinunter in die Lainsitzwiesen.
Der
Friedhof,
der einen halben Kilometer Richtung Erdweis liegt, ist ein Denkmal
dieser traurigen Geschichte. Es sind nämlich, anders als etwa in Heilbrunn
bei Brünnl, noch viele Grabsteine mit deutschen Namen erhalten, und dies
nicht einmal schlecht. Sie dokumentieren den Riss, der im 20. Jahrhundert
durch dieses Dorf ging.
"Hier ruhet
Herr Gottfried Praský, gest. am 26. Nov. 1912 im 45. Lebensjahre.
Marie Praská
/ vdova po radovi zem. soudu / * 28. 3. 1844 + 22.1.1925"
Der
Ehemann, dem Namen nach wohl Tscheche, starb vor 1918 und ließ seine
Inschrift in Deutsch verfertigen, seine Witwe, gestorben nach 1918, aber auf
Tschechisch.
Beim "Betriebskontrollor"
Ludwig Ruzizcka dagegen ist später schon wieder vermerkt: "Gest. 3.5.1939"
Zu dieser Zeit gehörte dieses Dorf gerade Tausend Jahre zum deutschen Gau Niederdonau.
Doch es
sind auch aus der Zeit der ersten tschechischen Republik Grabinschriften in
Deutsch vorhanden:
"Ruhestätte
der Familie Hohenbichler / Frau Juliana Hohenbichler / gest. 5. Mai 1915 im
53. Lebensjahre / Katharina Hohenbichler / gest. 18. Nov. 1936 im 69.
Lebensjahre"
Weiter zum Fluss.
Einige Tschechen machen Heu mit Gabel und Rechen. Ein anderer mäht Gras mit
der Sense. Es wird viel gebaut im Dorf, es scheint wieder aufwärts zu gehen.
Unten am Fluss fischen einige in der sich weit verzweigenden Lainsitz. Sie
werden nervös, wenn ich fotografieren will, sicher aus reiner
Schüchternheit. Die "russisch" gebaute Brücke hat dem Hochwasser 2002
standgehalten. Ein Messpunkt zeigt die Höhe des Wasserspiegels.
Ich gehe
auf der linken Lainsitzseite zurück nach Gmünd. Der Fluss ist ein
anderer als oben, von wo ich ihn kenne. Er ist außergewöhnlich träge, ein
richtiger "Luschi" die Luschnitze! Auch die Ufer sind anders, sandige
Terrassen, die tief eingeschnitten sind, wenn ein kleiner Zufluss einmündet.
Die Lainsitz befindet sich seit Breitensee in ihrer dritten Fließphase, dem
so genannten Flachebene-Flußabschnitt, der etwa 100km lang ist und das
gesamte Wittingauer Becken bis knapp vor Tabor durchmisst.
Gelsen
bringen mich dazu, vom Ufer in den Wald auf den Grenzweg zu wechseln.
Angesichts der letzten Spuren der Grenzvorrichtungen, an denen ich wieder
vorbeikomme, denke ich, dass vieles schon weggeräumt worden ist vom Eisernen
Vorhang. Nur noch wenige Trümmer erinnern an ihn. Doch es wird noch lange
dauern, bis alles weggeräumt ist, was sonst noch alles trennt. Und das wird
nicht genügen: Man wird auch wieder aufbauen müssen, was zusammengehalten
hat und das, was zerstört worden ist.
PVOS und OSH
Zuhause
versuchte ich die Bedeutung der auf den Gebäuden in Zuggers angeführten
Symbole zu entziffern und die drei Wörter zu übersetzen.
Die Wölfe
des größeren Gebäudes dürften das Zeichen des tschechischen Grenzschutzes OSH "Ochrany státní hranice" sein. Die hier stationierte Kompanie gehörte
zum Bataillon Suchdol nad Lužnicí, dieses wiederum zur Grenzbrigade České
Budějovice, soviel steht fest.
Die drei
Wörter auf dem kleineren Gebäude unterhalb des Fliegersymbols müssen laut
Wörterbuch so viel wie "Protektor des Luftraums" bedeuten. Schau, schau,
sogar eine Luftabwehreinheit war hier! Was ich zuerst über die Abkürzung PVOS herausfinden konnte, machte die Sache aufregend: Es ist die Bezeichnung
für die Sowjetischen Strategischen Luftabwehrkräfte "Protivo-Vozdushnoy
Oborony Strany"! Dann hatten die "Russen" hier einen Posten, nur einen
Steinwurf von der österreichischen Grenze entfernt? Ob es eine
Beobachtungsstation war oder ob auch etwa Luftabwehrwaffen hier stationiert
waren? Meine Phantasie galoppierte davon. Die Vorstellung meiner Kindheit,
dass gleich hinter der Grenze die Russen lauern, hatte anscheinend doch
ihren realistischen Kern?
Bedacht,
bedacht, kleiner Geschichtsforscher! Es war natürlich die tschechische PVOS,
"Protivzdušná obrana státu", die hier einen kleinen Beobachterposten hatte.
Die russischen Brüder waren im Landesinneren stationiert!
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