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Eine Wallfahrt nach Brünnl in Südböhmen

Von Karl Höfer, Krems

aus "Das Waldviertel" 1956, Heft 11/12, S. 229-232

Für das westliche Waldviertel, den deutschen Böhmerwald und die tschechische Bevölkerung des südlichen Böhmen kam bis 1918, dem Zusammenbruche der österr.-ung. Monarchie, hauptsächlich der Markt Brünnl in Südböhmen als Wallfahrtsort in Betracht. Der Wallfahrtsort, 695 m hoch, im Bezirke Gratzen gelegen, erhielt seinen Namen von einer Quelle (Brünnl) bei einer aus dem Jahre 1648 stammenden Martersäule, bei welcher Vorübergehende ihre Andacht verrichteten. Schon längst stand das Brünnl im Rufe einer Heilquelle. Die Gerüchte von wunderbaren Erscheinungen und Heilungen veranlaßten den Grafen Albert von Buquoy auf Gratzen, anfangs des 18. Jahrhunderts über der Quelle ein Bad und daneben ein zweistöckiges Unterkunftshaus zu erbauen, das bald einen großen Zulauf von Heilungssuchenden erhielt und gleichzeitig, eine nicht zu verachtende Einnahmsquelle für die Herrschaft Gratzen wurde.

1706 wurde mit dem Bau einer Kapelle begonnen und, da sie sich bald als zu klein erwies, ging man zur Errichtung einer zweitürmigen Barockkirche über, die 1715 eingeweiht und Wallfahrtskirche „Maria Trost" benannt wurde.

Die reichlich einlaufenden Opfergelder mit Spenden der Herrschaft Buquoy ermöglichten die Ausschmückung des Kircheninnern und die Errichtung weiterer An- und Zubauten. Das 130cm hohe Ölbild der stehenden Gottesmutter mit dem Jesukinde auf dem Arme, von einem unbekannten Künstler gemalt, wurde leider im Jahre 1842 durch dreieckige Brokatmäntel und blecherne Fürstenkronen „geschmückt" und bis auf die liebreizenden Gesichter verdeckt. Das Brünnl wurde gefaßt und zum Stiegenaufgang der Kirche geleitet.

Der Wald wurde gerodet; um die Kirche siedelten sich rasch Wirte, Fleischhauer, Bäcker, Lebzelter und Geschäftsleute an, die von den Wallfahrern lebten. Haus reihte sich an Haus. 1717 wurde an Brünnl das Marktrecht mit einem Wappen verliehen, eine Schule und ein Spital wurden errichtet.

Vom Kirchenvorplatz gab es einen schönen Ausblick und der hinter der Kirche bis 1000m ansteigende Berg bot eine Rundsicht ins Tschechenland von überraschender Weite.

Heute kommt Brünnl als Wallfahrtsort nicht mehr in Betracht; es ist abgesperrt und verarmt. Bis zum Jahre 1918 war da ein reger Betrieb; deutsche und tschechische Wallfahrerscharen lösten einander ab. Auch von unserem Waldviertlerdorf gingen Pilger und Wallfahrer dahin.

Versetzen wir uns zurück in die Zeit um 1880!

Da der Marsch von unserem Ort von rund je 15 km hin und zurück über Harbach (N.Ö.), Scheiben (Böhmen) und den Binderberg nach Brünnl, den die Wallfahrer an einem Tag machten, für uns Kinder nicht in Frage kam, so trat meine Mutter mit meiner um vier Jahre älteren Schwester, mit mir ABC-Schützen und einer jungen Lehrerin an einem Ferientage früh den Hinweg an. Die Mutter hatte in einer blumenbestickten Reisetasche den Proviant, die unvermeidlichen „Mohnknödel" mit. Gerastet wurde etlichemale, um zu essen; Wasser schöpften wir an den Hausbrunnen, den Wirtshäusern wichen wir aus.

Und so kamen wir am späten Nachmittag in Brünnl an.

Die Mutter sorgte sich zuerst um ein Nachtquartier und wir bekamen alle zusammen in einem der breit hingelagerten stockhohen Einkehrgasthöfe ein Zimmer mit drei Betten. Die übrigen Räume im Stocke waren mit tschechischen Wallfahrern vollgestopft.

Nach Sicherstellung der Unterkunft gingen wir in die Kirche, dem Segen beizuwohnen, die machtvolle Orgel zu hören und unsere Andacht zu verrichten. Nachdem wir noch den Ort, besonders aber die Buden und Standerln besichtigt hatten, die Bilderl, Rosenkränze, Lebzelten und Zuckerln feilhielten, wandten wir uns unserem Gasthof zu.

Im ebenerdigen großen Schankraum waren lange Tische aufgestellt, deren dazugehörige beiderseitige Bänke bereits von Männern und besonders Weiblein tschechischer Sprache besetzt waren, während die dazugehörigen Mehlsäcke mit zwei Tragbändern - Rucksäcke gab es damals noch nicht - hinter jedem auf dem Boden standen. Uns Vieren war in einer Ecke ein kleiner Tisch zugewiesen. Für jeden Esser war ein Reindl, Napf oder Schüsserl mit einem Blechlöffel bereitgestellt.

Nun kam die massige Herbergsmutter mit einem großen Schöpfer und hinter ihr das feste Dienstmädchen, mit beiden Händen den gewaltige Häfen mit der „Beuschelsuppe" schleppend, herein, kassierte vorsichtshalber erst die zehn Kreuzer ein und füllte dann das Eßgeschirr möglichst voll an, da ihre Gäste in dieser Hinsicht sehr genau waren. Nun wurden die prallen Säcke geöffnet, Brot in die Suppe gebrockt. Das Geplapper wurde noch ärger, Löffelgeklapper kam dazu, allgemeines Schmatzen, Schlecken und Lecken zeigte an, daß es schmeckte. Der Geruch und Gestank wurde immer widerlicher, da sich Schweiß, eingefettete Haare, billiger Tabak, nicht gelüftete Kleider, Brot, Povidlgermteig, gärender Topfen, Zwiebeln, Knoblauch, jeder anders, in ihrer Art bemerkbar machten und eine Luft zum Schneiden ergaben. Dann wurde Bier gebracht, gleichfalls gegen Vorauszahlung, das allen mundete und, weil es billig war, in großen Mengen getrunken wurde.

Wir hatten auch Beuschelsuppe bekommen, da nichts anderes gekocht worden war. Nach dem Essen gingen wir in unser Zimmer, die Mutter sperrte die Türe ab; aber wir konnten noch lange nicht einschlafen, da der Lärm unter uns es nicht zuließ.

Endlich trat Ruhe ein und eben waren wir vor Müdigkeit eingeschlummert, als an der Türschnalle gerissen und die Türe mit Stiefeltritten bearbeitet wurde. Auf Mutters Frage, was denn los sei, erfolgten ein noch heftigeres Reißen und verstärkte Fußtritte; dann aber warf sich wer gegen die Türe, daß sie in allen Fugen krachte. Da riß die Mutter das Fenster auf und vier geängstigte Stimmen riefen in die stille Nacht hinaus um Hilfe. In den gegenüberliegenden Häusern flammte Licht auf und auch in unserem Einkehrwirtshaus wurde es hell. Der Wirt mit seinem Knecht und die Wallfahrer füllten Gang und Stiege.

Und nun folgte des Rätsels Lösung. In der Wallfahrerschar war ein starker Bauernbursch mit, der törrisch und etwas beschränkt war und schon bei Tisch von den übrigen verspottet und gehänselt wurde. Als er dann eines Bedürfnisses wegen den Schlafraum verließ, verfehlte er auf dem Rückweg im düsteren Gang sein Quartier und gelangte an unsere versperrte Tür. In der Meinung, wieder einen Possen dulden zu müssen, wollte er uns die Türe einrennen. Mit etlichen Püffen von Seiten des Wirtes, seines Knechtes und verschiedener Dorfbewohner wurde der Törrische in seinen Schlafraum gebracht, der Wirt entschuldigte sich bei meiner Mutter ob des Zwischenfalls und es trat allmählich wieder Ruhe ein. Aber es dauerte noch lange Zeit, bis sich die aufgeregten Gemüter beruhigten und wir wieder einschlafen konnten.

Am nächsten Morgen, schon zeitlich in der Frühe ging das Getriebe wieder los. Bei der Pumpe im Hofe pritschelten die Wallfahrer und wuschen sich das Gesicht, die Männer machten ihre Stiefel glänzend und die Weibsleube putzten ihre gestickten Pantoffeln; dann wurde zu Ehren des Tages Kaffee getrunken und dazu die mitgebrachten Povidelbuchteln gegessen. Dann wurden die Säcke umgenommen, der Fahnenträger entrollte die Kirchenfahne mit dem heiligen Nepomuk und unter seiner Führung ging man feierlich singend in die Kirche.

Drinnen wanderten sie planlos von Altar zu Altar, zündeten Kerzen an, gaben ihre Opferkreuzer, verrichteten kniend ihre Andacht und es gab eine ständige Unruhe. Nach dem Gottesdienst verließen sie die Kirche, füllten die mitgebrachten Flaschen mit dem Wasser der Quelle, trieben sich bei den Buden herum und handelten um Bildchen, Rosenkränze, Lebzeltenherzen und Zuckerln, bis sie der Vorbeter zusammentrieb, unter Führung des Trägers der wehenden Fahne zogen sie heimzu.

Wir hörten uns auch den Gottesdienst an, spendeten unser Scherflein und ließen uns die Schatzkammer zeigen. Wir staunten die tschechischen Bauern an mit den hohen Stiefeln und den kleinen, blumenumrandeten runden Hüten und die Weiber mit den vielen Röcken, die sich beim Gehen in den Hüften schaukelten. Dann kaufte die Mutter an den Buden noch Bildchen und für uns Kinder Lebzelten, die sie vorsichtshalber in der Reisetasche barg, damit sie nicht schon auf dem Heimwege verspeist wurden.

Nun gingen wir wieder in unseren Einkehrgasthof, wo wir jetzt die einzigen Gäste waren, stärkten uns an heißen Würsteln und Bier und machten uns auf den Heimweg. Jetzt ging es schon langsamer, da einerseits die Spannung auf das zu erwartende Neue fehlte und auch noch die gestrige Müdigkeit samt der schlecht verbrachten Nacht nachwirkte. Gegen Abend kamen wir zu Hause an und erzählten noch lange dem Vater und der Tante vom Wege, dem ausgestandenen Schrecken, der Schönheit der Kirche, den fremden Menschen und dem beschwerlichen Rückmarsch.

Das sind die Erinnerungen an meine erste Wallfahrt.